24 Stunden von Le Mans (F) 1984

Auszug aus dem Bericht von Friedemann Kirn in "MOTORRAD 10/1984"

Erstmals waren die Nachtschwärmer eines 24-Stunden-Rennens in drei Klassen unterwegs: mit Maschinen nach der neuen WM-Formel bis 750 cc, Prototypen bis 1000 cc und Produktionsmaschinen bis 1300 cc.

In den Straßen von Le Mans wurde Volksfest gefeiert. So ab zehn Uhr nachts, als der Autoverkehr längst abgeflaut war, ging's auf Motorrädern weiter. Tausende vergnügter Schaulustiger lungerten im Bahnhofsviertel herum, kletterten auf Lichtmasten, bogen die Wartehäuschen von Bushaltestellen durch und ließen in der Straßenmitte gerade den Meter Platz, den die Motorräder brauchten, um auf dem Hinterrad zwischendurch zu eiern.
Auf dem Circuit Bugatti herrschte dieselbe vergnügte Stimmung wie jedes Jahr beim 24-Stunden-Rennen. Die Zuschauer drängten sich beim Start auf den Tribünen, verloren sich dann nach und nach auf dem großen Areal, zündeten Lagerfeuer an, tranken ein paar über den Durst und fühlten sich pudelwohl. Und wie sonst entlud sich alle Begeisterung am Sonntag fünf vor drei, als die Zuschauer die Strecke stürmten und die ankommenden Fahrer wie in einem Ameisenhaufen verschwanden.
Es störte niemanden, dass neben Prototypen (bis 1000 cc) und Produktionsmaschinen (bis 1300 cc) auch die vielgeschmähte neue WM-Formel TT1 bis 750 cc am Start war. Im Gegenteil: Dadurch wurde das Feld nur noch bunter, das Rennen nur noch spannender.
Zumal sich das heisere Bellen italienischer Zweizylinder in das Fauchen der Vierzylinder mischte. Ducati war mit dem angekündigten Werksteam gekommen und setzte für all diejenigen ein Zeichen, die an das bevorstehende Ende der traditionsreichen Firma geglaubt hatten. Aus einem Etat, den Ducati und Cagiva gemeinsam aufbrachten, waren einige leichtgewichtige, wieselflinke Pantah 750 aufgebaut und zwei Mannschaften ins Rennen geschickt worden.
"Der Motor ist exzellent", jubelte Jean-Claude Jaubert, abwechselnd mit dem italienischen Exweltmeister Walter Villa auf der Werks-Ducati Nummer 1 unterwegs. "Nur mit dem hinteren Federbein gibt's Probleme. Gelegentlich hüpft das Motorrad wie ein Gaul; ich kann die Leistung gar nicht hundertprozentig ausnutzen." Perugini, der dritte Mann im Team, versuchte es trotzdem und fiel prompt auf die Nase. Durch den Boxenstopp weit zurückgeworfen, kam morgens um drei das endgültige Aus: Jaubert schlich sich mit laut rasselndem Getriebe an die Box.
Dafür wurde an den Nachbarboxen die gesamten 24 Stunden lang mit riesigen Transparenten gewedelt. "Du-ca-ti, Du-ca-ti...", skandierten die Fans, die Hände zum Victoryzeichen in den Himmel gereckt. Die zweite Werks-Ducati mit den Herren Guichon, Granie und Vuillemin lag nach wenigen Stunden auf Platz fünf und schob sich unter immer heftiger werdendem Gebrüll bis ins Ziel auf Platz vier vor. Und eine weitere halbprivate Pantah unter Salles/Roullet/Moisset überstand den harten Kampf gegen die Tücken der Technik.
Nachts hatte nämlich plötzlich der hintere Zahnriemen angefangen, Problem zu machen. Außerdem kündigten sich mit heftiger Rauchentwicklung durchgebrannte Kolbenringe an. Die Therapie der Ducati-Mechaniker: bei jedem Boxenstopp ein Maß Öl in den Tank. Die Ducati hielt durch, und die Begeisterung der Fans schäumte über.
Sogar Honda-Teamchef Jean-Louis Guillou freute sich mit. Nach dem werkseitigen Rückzug von Suzuki und Kawasaki war die ganze Endurance nämlich von vornherein als Honda-Markencup verspottet worden, und Guillou hatte insgeheim gefürchtet, einen Kampf gegen Windmühlenflügel ausfechten zu müssen. Doch mit Ducati zeigte sich endlich ein halbwegs ernst zu nehmender Gegner. "Sehen Sie, so schlecht ist das neue Reglement doch gar nicht", meinte Guillou überzeugend. "Honda spielt mit, die Italiener spielen mit und haben, wie man sieht, ein hervorragendes Team..."

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Ergebnisse:

Startnr. Fahrer   Basis Endergebnis
59 Van der Mark/Brand (NL) Privat Bakker-Suzuki GSX 998 cc 1. Platz
  Lees/Oxley/Kultahlati (S) Privat Honda VF 858 cc 2. Platz
  Coudray/Igoa/Sarron (F) Werkseinsatz Honda RSR 748 cc 3. Platz
4 Guichon/Granie/Vuillemin (F) Werkseinsatz Ducati TT1 748 cc mit schräg gestelltem Zentralfederbein (Cantilever) 4. Platz
5 Walter Villa/Jean-Claude Jaubert/Perugini (F) Werkseinsatz Ducati TT1 748 cc mit senkrecht stehendem Zentralfederbein über Wippe betätigt Ausfall wegen Getriebeschaden
  Salles/Roullet/Moisset Halbprivat Ducati 748 cc Zieleinlauf

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